Politik - mit sorbischer Kraft für Staat und Gesellschaft
Die erste politische Interessenvertretung der Sorben in Form einer Partei wurde 1919 gegründet. Der 1889 in der Oberlausitz geborene Publizist und Schriftsteller Jan Skala war maßgeblich an der Gründung der Lausitzer Volkspartei beteiligt, die aber in der Wahl im Jahre 1933 scheiterte. Schon in den Jahren davor im Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland tätig, bewies Jan Skala sein politisches Engagement bei der sorbischen Tageszeitung Serbske Nowiny im Kampf um die Schließung des Prager Wendischen Seminars. 1924 kam er zur Organisation der größten Minderheit im damaligen Deutschland, dem Bund der Polen. Seinen Einsatz für nationale Minderheiten zeigt auch seine Teilnahme an den Europäischen Minderheitenkongressen in Genf von 1925 bis 1927.
Der sorbische Jurist und Verleger Jan Cyž gab von 1934 bis 1937 die sorbische Tageszeitung Serbske Nowiny heraus und forderte eine von Deutschland staatlich unabhängige Lausitz, nachdem er ab Mai 1945 als erster sorbischer Landrat des Kreises Bautzen amtierte.
Prägend für die sorbische Bewegung im 20. Jahrhundert war der Pädagoge und Ethnologe Pawoł Nedo. 1908 als Sohn einer Dorfschneiderin in Kotitz geboren, wurde er während seines Studiums in Leipzig bis 1932 Vorsitzender des Verbandes sorbischer Studenten. 1933 einstimmig zum Vorsitzenden der Domowina gewählt, bekleidete er dieses Amt auch nach vorübergehenden Verbot des Verbands nach Kriegsende wieder, bis er 1950 nach Dresden ins Ministerium für Volksbildung versetzt wurde. Sein Engagement trug wesentlich zur Etablierung des Faches Sorabistik an der Leipziger Universität bei.
Der 1907 geborene, sorbische Kommunist Kurt Krjeńc folgte Pawoł Nedo 1950 als Vorsitzender der Domowina und übte dieses Amt mehr als 22 Jahre aus.
Als im Jahr 1933 Pawoł Nedo neuer Vorsitzender der Domowina wurde, erblickte ein neuer sorbischer Erdenbürger das Licht der Welt. Der spätere Minister für Gesundheitswesen Klaus Thielmann wuchs in Quoos auf, sein Weg führte über die Oberschule in Bautzen, die Universität Leipzig und die Medizinische Akademie Erfurt bis nach Havanna. 1974 kehrte er nach Erfurt zurück, wurde 1982 zum Ministerstellvertreter für Hoch- und Fachschulwesen und bekleidete in der ehemaligen DDR von 1989 bis 1990 als erster und einziger Sorbe ein Ministeramt.
1990 war auch ein richtungsweisendes Jahr für den Politiker Sieghard Kosel. Der 1939 in Bautzen geborene Diplom-Journalist war bis 1990 Chefredakteur der Nowa doba und Mitglied der SED, die in diesem Jahr ihren Namen in „Partei des Demokratischen Sozialismus“ änderte. Ab 1990 vier Jahre lang Kreisvorsitzender der PDS Bautzen, erwarb sich Kosel den Ruf, die Parteiräson zu Gunsten der Interessen der Sorben hinten an zu stellen. Nachdem er im Oktober desselben Jahres in den Sächsischen Landtag gewählt wurde, war er erst im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und später im Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien tätig.
In den sächsischen Landtag zog 1990 auch die, 1943 ebenfalls in Bautzen geborene, Gabriele Wirth für die SPD ein. Auch die Fachärztin für allgemeine Stomatologie saß erst im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, bevor sie Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten wurde.
Für eine weitere Veränderung der politischen Landschaft des Jahres 1990 sorgte im sächsischen Landtag der CDU-Kreisvorsitzende im Kreis Kamenz, Ludwig Noack. Der 1947 geborene Diplomfachlehrer für Russisch und Sorbisch war stellvertretender Ausschussvorsitzender für Bildung, bevor auch er den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten angehörte, um anschließend im Ausschuss für Schule, Jugend und Sport zu arbeiten.
Die Jugend der 90er Jahre vertrat auch der Jurist Heiko Kosel während seines Studiums als Vorsitzender des Sorbischen Studentenvereins „Pawoł Nedo“ von 1990 bis 1995. Der 1966 geborene Heiko Kosel ist seit 1985 Mitglied der SED, der späteren PDS, und seit 1999 Mitglied des Sächsischen Landtags. Er wirkte als Mitglied im Ausschuss Europa- und Minderheitenpolitik, im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und im Ausschuss Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten im sächsischen Parlament.
Fast 20 Jahre nach dem ersten sorbischen Minister der damaligen DDR, Klaus Thielmann, folgte mit Stanislaw Tillich im Jahr 2008 der erste sorbische Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. 1959 in Nowa Wjeska geboren, trat der Diplomingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik 1987 in die CDU ein und wurde 1990 Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer. Als Mitglied des Europäischen Parlaments fungierte er von 1994 bis 1999 und wurde anschließend in das Kabinett des Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf berufen, wo er bis 2002 den Posten des Staatsministers für Bundes- und Europaangelegenheiten bekleidete. Sein politischer Weg als Staatsminister führte Tillich von der Umwelt und Landwirtschaft über die Finanzen bis zum Landesparteivorsitzenden, bis er schließlich am 25. Mai 2008 zum Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen gewählt wurde.